Das weiße Gold in Salzburg ist ein anderes als jenes in Wien. Es berauscht und illuminiert nicht, fräst sich mit seiner urigen Körnigkeit aber genauso nachhaltig in das Leben ein. Salz ist gleichermaßen Freudenspender wie Foltermethode. Das Salz in der Suppe kann etwas erst so richtig spannend und lohnenswert machen, streut man andererseits aber Salz in offene Wunden, führt das mitunter zu nachhaltigen Verletzungen – physisch und psychisch. „Soiz auf da Haut reibt oide Wunden auf“, singt Anna Buchegger im Titeltrack ihres zweiten Albums. Ein flotter Beat mit Amapiano-Anleihen dient als musikalische Unterlage für diese Ode an das heimische Mineral und seine allumfassende Ambivalenz.
Als ländliche Salzburgerin ging Buchegger schon als Kind in die hiesigen Salzbergwerke, um dort zu rutschen und Abenteuer zu erleben. Das „Soiz“ in seiner Form als Konservierungsmittel dient ihr heute als Metapher für die eigene Liebe zur Konservierung – nämlich jene, den Dialekt zu pflegen, ihn mit verschiedenen Klangformen in Verbindung zu bringen und dabei stets neue Wege einzuschlagen. Um Salz zu gewinnen und abzubauen, braucht es Demut und große Anstrengungen. Werte, die man auch für Authentizität und Offenheit in der Musik benötigt. Werte, die Buchegger nicht nur hier, sondern in ihrer gesamten künstlerischen Karriere ein Anliegen sind. In ihrer Stimme wird das „Soiz“ zum Lebenselixier.
Wo fängt die Heimat an und wo hört sie auf? Was bedeutet Heimat eigentlich und warum lassen sich Begrifflichkeit und Bedeutung gar nicht ins Englische übersetzen? Wie kann man den Ausdruck von jeglichem Mief der Deutschtümmelei befreien und ihn in einen Kontext der Geborgenheit und Gemeinschaft betrachten? Schon vor einem Jahr befand sich Anna Buchegger auf der Suche nach Antworten. Als die Salzburgerin im Frühherbst 2024 ihr Debütalbum „Windschatten“ veröffentlichte, erfand sie die heimische Popmusik ein gutes Stück neu und positionierte sich damit klar für Offenheit in alle Richtungen. „Bei meinen Konzerten kamen sehr viele Menschen aus der queeren Welt und solche, die sich nicht als Teil des Grundkonzepts von Heimat sehen. Unsere Konzerte sind genau dieser Ort, wo sie dazugehören und wo sie sich daheim fühlen. Meine Musik ist für eine offene, tolerante Community gemacht – und die Leute haben sie genau so verstanden, wie ich sie gemeint habe.“
Mit dem Rückenwind eines erfolgreichen Debüts war die Arbeit am Nachfolger gar nicht so leicht. Buchegger wollte sich nicht selbst kopieren, aber auch nicht den eingeschlagenen Weg verlassen. Die anfänglichen Ängste, sie könne mit neuen Liedern in den Schenkelklopfer-Dialektpop abrutschen, waren schnell ausgeräumt. Auf dem Zweitwerk „Soiz“ zeigt sich die Künstlerin nicht nur nachdenklich und bewusst mysteriös, sondern traut sich auch eine gewisse Leichtigkeit zu. So weist die erste Singleauskoppelung „Maria“ ein poppiges Arrangement auf und huldigt der großen Maria Augusta von Trapp, deren Leben nicht zuletzt durch die Musical-Verfilmung „The Sound Of Music“ zu Weltruhm gelangte. Trapp dient als Beispiel für Ungehorsam und für Ausbruch und Aufbruch nach den entbehrungsreichen Kriegsjahren. „Die Flucht vor den Nazis und der Umzug in die USA – das passte einfach nicht in das Heimatfilm-Genre von damals und das finde ich großartig.“
Auf „Soiz“ zeigt sich die 26-Jährige standfester und noch klarer in ihren humanistischen Ansichten. „Ois is schwoaz oder weiß, dazwischen gibt’s nix mehr wos bleib, es geht bergåb und ois foaht schuss, dass de Sicht schlecht is, is jed’m wurscht“ besingt sie wütend und fordernd in „Teppich“. Es ist ein in Liedform gegossenes Manifest gegen Engstirnigkeit, Sturheit und die allumfassende Egozentrik der Gegenwart. „Mia håm nix mehr zu verlier’n, hiaz kimma uns ungeniert gegenseitig ohliag’n“ – was bleibt, wenn die Ehrlichkeit verschwindet und man sich von allen Problemen abwendet? Lüften wir den Teppich, bevor es zu spät ist. Oder das mit hymnischem Gesang veredelte „Mauer“, das mit Zeilen wie „I bau a Mauer in mein Goat’n, dass i de Berg neama siag“ unmissverständlich ausdrückt, wie es um die Dickköpfigkeit jener aussieht, die unerklärbare Phantomängste vor „dem fremden Mann“ haben, der ihnen Land und Familie wegschnappt. Eine Ode gegen die grassierende Fremdenfeindlichkeit und die Suche nach den simplen Antworten.
Das balladeske und bewusst ruhig gehaltene „Schutt und Dreck“ hingegen befasst sich mit der Angst vor Kriegen. „Wenn ich am Land an Stammtischen höre, dass es wieder einmal einen ordentlichen Krieg oder den starken Mann braucht, dann wird mir ganz anders“, so die Künstlerin, „was ist das für ein Gedanke? Was passiert, wenn der Sohn einer Mutter einzogen wird und traumatisiert oder gar nicht mehr zurückkommt? Wenn man wichtige Menschen verliert? Patriotismus macht als solches keinen Sinn. Wir sollten uns lieber glücklich schätzen, dass wir in einem so friedlichen und schönen Teil der Welt hineingeboren sind – obwohl wir nichts dafür können“. Buchegger schaut gerne hinter die Kulissen und befasst sich mit den schroffen, kurvigen und unbequemen Themen des Lebens. Etwa im intensiven „Es liegt an dir“, wo Machtmissbrauch und Gewalttätigkeit gegenüber Frauen in immer aggressiver werdendem Schreigesang projiziert werden. „Das Umkehren der Täter-Opfer-Rolle macht mich wütend. Und die Tatsache, dass die Opfer meist nicht ernstgenommen werden.“
Neben all der Schwere gibt die Salzburgerin sich und den Hörerinnen aber auch Raum für Familiäres und Regionales. Das poppig-fröhliche „Draht“ reicht fast schon in die Epigenetik und entstand gedanklich bei einer Wanderung mit der geliebten Oma. Auf „Wos i nit bin“ huldigt Buchegger ihrer geliebten, aber in allen Bereichen anders entwickelten Schwester, deren gemeinsames Band unzertrennlich ist. Auf dem flotten „Verwöhnt“ unterzieht die Künstlerin sich selbst einem humorigen Realitätscheck, der, öfter eingesetzt, sehr viele Probleme und Vorurteile lösen oder im Keim ersticken würde: „Meine Fallhöhe ist nicht so hoch, das ist mir bewusst. Wenn ich falsche Entscheidungen treffe, dann wartet daheim noch immer mein Kinderzimmer mit der frischgewaschenen Bettwäsche auf mich. Ich habe ein Zuhause und könnte mich wieder sammeln. So geht es auch vielen Freundinnen von mir. Es geht aber auch darum, dass ich in meiner Wiener Blase locker über Sachen reden kann, die am Land aus vielen Gründen anders gesehen werden.“
Das mit einem treibenden Electro-Beat versehene „Soiz“ ist eine an Amapiano angelehnte Beschreibung jenes Minerals, das Salzburg und all seinen Einwohnern eine gewisse Form der Identität verleiht. Salz ist gleichermaßen Freudenspender wie Foltermethode. Das Salz in der Suppe kann etwas erst so richtig spannend machen, streut man aber Salz in offene Wunden, führt das zu nachhaltigen Verletzungen – physisch und psychisch. „Soiz auf da Haut reibt oide Wunden auf“, singt Buchegger und stellt dabei seine Ambivalenz ins Zentrum des Geschehens. Das „Soiz“ in seiner Form als Konservierungsmittel dient ihr als Metapher für die eigene Liebe zur Konservierung – nämlich jene, den Dialekt zu pflegen, ihn mit verschiedenen Klangformen in Verbindung zu bringen und dabei stets neue Wege einzuschlagen. Um Salz zu gewinnen und abzubauen, braucht es Demut und große Anstrengungen. Werte, die man auch für Authentizität und Offenheit in der Musik benötigt. Werte, die Buchegger in ihrer künstlerischen Karriere ein besonderes Anliegen sind. In ihrer Stimme wird das „Soiz“ zum Lebenselixier. Ungefilterte Lebendigkeit mit Authentizität und Aussage ist die Kernbotschaft der Musik auf ihrem zweiten Album.
Nach ihrem viel beachteten Debütalbum „Windschatten” – ausgezeichnet mit zwei Amadeus Award-Nominierungen, dem Hubert von Goisern Kulturpreis 2024 und einem ARTE TRACKS-Porträt – markiert die österreichische Musikerin Anna Buchegger den Auftakt zum zweiten Album „Soiz” (VÖ: 03.10.2025).
Mit ihrer neuen Single „Wos i nit bin “ knüpft Anna Buchegger nahtlos an das persönliche Songwriting ihres Debütalbums „Windschatten“ an. Auch diesmal steht Familie im Zentrum – es geht um Schwesternschaft, um all die kleinen und großen Widersprüche: um Nähe und Reibung, um Unterschiedlichkeit und tiefe Verbundenheit, um’s sich gegenseitig Bereichern und sich einfach nur auf die Nerven gehen. Aber vor allem geht’s in „Wos i nit bin“ darum, einer Person Dinge sagen zu können, die man sich sonst vielleicht nicht traut zu sagen.
Buchegger bleibt dem Dialekt als künstlerischem Statement treu und konfrontiert alpenländische Tradition mit Selbstironie und avantgardistischem Wagemut – musikalisch wie visuell. Die Kunstfigur zwischen Clown, Couture und Tracht wird zum Spiegelbild einer Generation, die ihre Wurzeln nicht konserviert, sondern kritisch befragt.
Klicken Sie auf den unteren Button, um den Inhalt von open.spotify.com zu laden.
Klicken Sie auf den unteren Button, um den Inhalt von open.spotify.com zu laden.
